SCHLÜSSEL EINS
LIEBE DICH SELBST

TRANSFORMIERENDE FRAGE: Liebe ich mich in diesem Moment?

Du bist wie eine Blume, die in der Wüste blüht. Der Boden um dich herum ist trocken, doch du trinkst an einer unterirdischen Quelle. Du erblühst, weil du atmest. Du leuchtest, weil du mit der Quelle der Liebe und des Lebens verbunden bist.
     Einstein sagte, es sei seine größte Entdeckung gewesen, dass das Universum freundlich ist. Es war seine Art, eine höhere Kraft anzuerkennen, die uns auf eine Weise unterstützt, die wir unmöglich verstehen können, sosehr wir auch versuchen mögen, unseren Platz im Universum zu begreifen.
     Wir waren alle einmal Kinder, und natürlich haben wir uns darauf verlassen, dass unsere Eltern uns lieben und versorgen. Wenn wir erwachsen werden, suchen wir Liebe bei unseren Partnern und Freunden. Wir suchen die Liebe außerhalb von uns und machen uns davon abhängig, sie dort zu finden. Leider funktioniert diese Strategie, zur Liebe zu finden, bestenfalls für einen kurzen Zeitraum. Sie ist eine zeitlich begrenzte Erfahrung, keine ewige. Sie hat einen Anfang und ein Ende. Die Liebe von anderen kommt und geht. Sie ist nicht beständig. Ist sie da, sind wir glücklich. Ist sie nicht da, sind wir traurig. Manchmal fühlen wir uns sogar misshandelt oder verraten.
     Aber meistens ist die Liebe, die von anderen kommt, bedingte Liebe. Menschen lieben uns, weil wir ihre momentanen Bedürfnisse stillen. Sobald wir aufhören, ihre Bedürfnisse zu erfüllen, verändern sich ihre Gefühle, und sie schauen sich nach einem anderen Objekt ihrer Zuneigung um.
     Natürlich gibt es Ausnahmen. Manche Menschen lieben uns bedingungslos, aber das ist selten in unserem Leben. Und sie sind nur deshalb in der Lage, uns auf diese Weise zu lieben, weil sie zur Quelle in ihrem Inneren gefunden haben.

Die Quelle der Liebe

Die Quelle der Liebe entspringt tief in unserem Inneren. Sie speist uns wie das Grundwasser, das die Wüstenpflanzen versorgt. Diese Quelle ist immer vorhanden. Sie wohnt im Zentrum unseres Herzens, aber wir bemerken sie oft nicht. Es ist wie mit dem Atmen. Der Atem erhält uns, aber wir wissen nicht, wovon oder woher er kommt. Es ist eine Art Austausch mit dem Universum, an dem wir unbewusst teilnehmen. Wir sind nicht einmal dankbar dafür, weil wir nicht darum gebeten und nichts dafür getan haben, uns das Recht zu atmen zu verdienen. Er kam einfach mit dem Körper. Und der Körper selbst ist ein Mysterium.
     Du und ich, wir sind ein Mysterium. Wir wissen nicht, warum wir hier sind oder wie wir entstanden sind. Wir haben das Geschenk des Lebens erhalten, doch wir wissen nicht, dass es ein Geschenk ist. An kalten Tagen, wenn der Wind über die Wüste fegt, fragen wir uns, ob dieses zerbrechliche Leben überhaupt ein Geschenk ist. In der eisigen Luft unter dem stählernen Licht des Vollmondes fühlen wir uns ungeschützt und verletzlich. Wir fragen uns, ob das Universum ein freundlicher Ort ist. Und wir machen uns Gedanken, ob unsere Bedürfnisse gestillt werden.
     All das hat seinen Ursprung in der Suche nach Liebe, Trost und Akzeptanz im Äußeren. Und wie ich schon sagte: Alles, was von außen kommt, ist Bedingungen unterworfen – oder sagen wir: unvorhersehbar. Manchmal ist es heiß, manchmal kalt. Zuweilen herrscht Dürre, und ein anderes Mal schwellen die Flüsse im Monsun-Regen an und treten über die Ufer.
     Das Leben in der Wüste ist schwierig. Es ist riskant. Es ist unsicher. Du kannst nicht wirklich auf etwas zählen. Das Gleiche lässt sich von bedingter Liebe sagen.
     Würden wir einzig die bedingte Liebe kennen, wäre unsere Erfahrung hier frustrierend. Unsere Erwartungen würden nur entstehen, um wieder zerschlagen zu werden. Wir würden vielleicht sogar zu der Überzeugung gelangen, in einem grausamen und herzlosen Universum zu leben.
     Aber unter der Oberfläche des Lebens liegt eine Quelle, die in der Tiefe fließt. Dort liegt eine jedem innewohnende Fähigkeit zu lieben, die absolut großartig und wunderbar ist. Große wie Buddha und Jesus haben sie uns gezeigt. Dieselbe Quelle, die sie nährte, fließt auch in unserem Herzen.
     In dieser Welt mag das Herz wie ein einsamer Jäger erscheinen, doch seine wahre Natur liegt im Geben und Empfangen von Liebe. Du und ich, wir sind hier, um zu lieben. Das ist unser Lebenszweck und unser Schicksal.
     Was wir nicht verstehen, ist, dass die Liebe in unserem Bewusstsein beginnt und endet. Sie fließt durch uns zu anderen und wieder zu uns zurück. Wenn wir uns selbst keine Liebe entgegenbringen, können wir auch anderen keine Liebe geben. Und falls wir erwarten, dass andere uns zuerst ihre Liebe schenken, kann es sein, dass wir sehr lange warten.
       Um Liebe zu empfangen, müssen wir sie geben. Und um sie zu geben, müssen wir sie empfangen. Das ist die einfache Formel.

Geben und Empfangen

Meistens möchten wir die Ersten sein, die Liebe empfangen, aber nur wenige möchten sie zuerst geben. Um Liebe geben zu können, musst du sie in dir selbst finden. Du musst deine Wurzeln tief nach unten wachsen lassen. Du musst in die Quelle sinken. Vielleicht meditierst du. Vielleicht gehst du in den Wald oder am Fluss entlang. Irgendwie wirst du still. Irgendwie öffnest du dich, um die Energie der Liebe zu empfangen.
     In gewisser Weise öffnest du das Herz genauso, wie du deinen Mund öffnest, um die Luft aufzunehmen, die du atmest. Und wenn das Herz sich öffnet, um zu empfangen, gibt es automatisch Liebe zurück. Es ist in derselben Weise dazu bestimmt, zu geben und zu empfangen, wie die Lungen dazu bestimmt sind, Luft in sich aufzunehmen und sie dann wieder auszustoßen. Das Herz kann nicht Liebe empfangen, ohne sie wieder zurückzugeben.
     Liebe ist ein zirkulierendes System. Sie ist wie das Blut, das zum Herzen hin- und von ihm wegfließt, oder wie die Luft, die in die Lunge hinein- und wieder aus ihr herausströmt. Sie ist selbsterhaltend, sich immer wieder neu erschaffend. Bist du einmal im Fluss der Liebe, musst du nicht mehr darüber nachdenken. Sie geschieht einfach, so wie das Atmen.
     Für die meisten besteht die Schwierigkeit darin, einen Weg zu finden, um die Quelle der Liebe in ihrem eigenen Bewusstsein ausfindig zu machen. Denn das bedeutet, uns einer Präsenz bewusst zu werden, derer wir uns bis dahin nicht bewusst waren.
     Uns der Liebe in uns bewusst zu werden, ist so, wie uns des Atems bewusst zu werden. Wir atmen, aber wir sind uns dessen nicht bewusst, dass wir atmen. Wir lieben, aber wir sind uns dessen nicht bewusst, dass wir lieben.
     Also richtest du deine Aufmerksamkeit auf dein Herz. Du atmest in dein Herz hinein. Du fährst deine Abwehrmechanismen herunter. Du nimmst deine emotionale Rüstung ab. Du gibst dir die Erlaubnis, dich zu entspannen und dich sicher zu fühlen.
     Du erinnerst dich daran, dass du ohne Schuld und in Ordnung bist, so wie du bist. Du nimmst allen Druck weg und atmest und bist. Du nimmst den Moment an und feierst ihn so, wie er ist. Du spürst Dankbarkeit für den Atem, Dankbarkeit für das Geschenk, zu leben. Du öffnest dich dem Strom des Universums in dir und um dich herum. Du gibst dir die Erlaubnis, dich zu verbinden.
     Natürlich kannst du nie wirklich von dem Universum getrennt sein, in dem du lebst, aber es ist möglich, dass du dir der Verbindung zu ihm überhaupt nicht bewusst bist. Du kannst nicht von der Liebe getrennt sein, aber es mag sein, dass du dir der Liebe, die in dir lebt, überhaupt nicht bewusst bist.
     Während du so im Gewahrsein deiner Unschuld sitzt und entspannst und atmest, wirst du dir mehr und mehr deiner Verbindung zu allem, was ist, bewusst. Du fühlst dich nicht mehr getrennt. Du stehst weder mit dir noch mit jemand anderem in Konflikt. Du sinkst in den Strom der Liebe.
     Er war immer da, aber du warst dir seiner nicht bewusst. Selbst während du am Flussufer entlangwandertest, hörtest du den Strom der Liebe nicht zu dir flüstern, nicht dich liebkosen, nicht dich feiern. Jetzt aber fühlst du ihn. Jetzt badest du in den kühlenden Wassern dieses Flusses. Jetzt weißt du, dass du mehr bist, als du bislang angenommen hattest.
     Jetzt weißt du, dass du ein Teil des großen Lebensstroms bist, der über dein Ego-Bewusstsein hinausgeht und dich mit allem verbindet, was ist. Jetzt gibt es keinen Unterschied, keine Trennung mehr zwischen dir und dem, was ist. Du ruhst in allem, was ist, und es ruht in dir.
     Es gibt wahrhaftig gar kein Innen und Außen mehr, kein Groß oder Klein. Keine Grenzen mehr zwischen den Wesen. Selbst Geben und Empfangen sind nicht mehr getrennt oder vollziehen sich zeitlich versetzt, sondern sind vereint und geschehen zeitgleich. Das Universum ist absolut großartig, und du bist erstaunt über deine eigene, ganz besondere Schönheit.
     Liebe ist, wer du bist. Du kannst nichts anderes sein.

Liebe ist, wer du bist

Indem du diese verblüffende Wahrheit über dich akzeptierst, beginnt dein Leben sich zu verändern. Du erkennst allmählich, dass jede Begegnung heilig ist. Jede Handlung und jedes gesprochene Wort ist eine Gelegenheit, Liebe zu geben und zu empfangen. Du lebst nicht länger an den Ufern des Flusses, sondern in dem Fluss selbst. Liebe fließt durch dich, wohin auch immer du gehst, was auch immer du tust.
     Jetzt kennst du also die Wahrheit. Du weißt, wie du zum Liebesstrom in deinem Herzen findest und in ihn eintauchen kannst. Du weißt, dass du Liebe bist und dass alles andere eine Illusion ist, die von einer Angst oder Verkrampfung stammt.
     Ja, du weißt das, aber ab und zu vergisst du es. Du lässt dich in das übel tönende Drama der Welt hineinziehen und kannst die Stimme des Stromes nicht hören, der zu dir spricht. Du fühlst dich von anderen getrennt. Du wirst wütend, traurig oder ungeduldig. Du fühlst dich einsam, bedürftig, entmutigt, vielleicht auch deprimiert. Es kann sogar sein, dass du dich mit Selbstmordgedanken trägst.
     Das ist in Ordnung. Das passiert, wenn du vergisst, wer du bist. Das passiert, wenn du nach Liebe im Äußeren suchst, statt sie in deinem Inneren zu finden. Und das ist der Punkt, an dem deine spirituelle Übung beginnt.

Spirituelle Übung

Die erste spirituelle Übung ist einfach, aber sehr kraftvoll. Ich lade dich dazu ein, sie den ganzen Tag über anzuwenden. Jedes Mal, wenn du vergisst, wer du bist; sooft deine Verbindung zur Quelle der Liebe verschleiert oder geschwächt ist, nutze folgende transformierende Frage, um dich zurückzuholen: Liebe ich mich in diesem Moment?
     Lass diese Frage tief in deine Seele sinken und beantworte sie ehrlich. Wenn deine Antwort »Ja« ist, dann feiere deine Verbindung zu allem, was ist, und bleibe in diesem wunderbaren Prozess des Gebens und Empfangens von Liebe. Sollte die Antwort »Nein« lauten, erinnere dich einfach daran, dass du hier bist, um dir selbst Liebe zu schenken, wenn du dich ungeliebt fühlst. Du bist hier, um Akzeptanz für dich aufzubringen, sobald du dich verurteilt oder abgelehnt fühlst. Du bist hier, um dir zu vergeben, wenn du etwas gesagt oder getan hast, das dich oder andere verletzt hat. Du bist hier, um Liebe zu bringen, nicht Verurteilung. Du bist hier, um dich selbst sanft und mitfühlend zu halten, wie eine Mutter ihr Baby hält, und nicht, um dich auf irgendeine Weise zu verurteilen, zu kritisieren oder fertig zu machen.
     Wenn du dich selbst nicht liebst, erinnert dich die transformierende Frage daran, dass Liebe das ist, was jetzt notwendig ist, und dass nur du selbst sie dir geben kannst. Du bist derjenige, der Liebe in deine eigene Erfahrung bringt. Niemand sonst. Andere mögen dich lieben oder nicht lieben. Du kannst daran nichts ändern. Du kannst dich nicht von der Liebe oder Anerkennung anderer abhängig machen. Du musst sie dir selbst geben. Du bist der Überbringer der Liebe. Erlaube der Frage, sich in der grundlegenden existenziellen Verantwortung für deine Verkörperung zu verankern. Du bist derjenige, der Liebe in deine Erfahrung bringt. Niemand sonst.
     Schließe deine Augen und atme tief. Höre die Wasser des Stromes zu dir sprechen. Tauche tief in sie ein. Du und der Strom seid nicht voneinander getrennt. Du bist der Strom. Du bist die Quelle der Liebe. Du bist der Retter. Du bist derjenige, der das verwundete Kind aus der Selbstkreuzigung und Verzweiflung heraushebt. Du bist der Leuchtende.

Sich in der Gegenwart üben

Indem wir auf uns selbst Druck ausüben, um in der Verbindung zu bleiben, verschlimmern wir die Erfahrung des Getrenntseins. Druck funktioniert nicht. Einzig Annahme funktioniert. Akzeptiere, was geschieht. Akzeptiere, wie du dich fühlst. Während du akzeptierst, bringst du bereits Liebe.
     Falls du nicht akzeptierst, weil du möchtest, dass die Dinge anders sind, als sie sind, vertiefst du das Gefühl des Getrenntseins. Gehe also nicht in Widerstand zu deiner Erfahrung. Sei in ihr, ganz im Mitgefühl. Wenn du traurig bist, sei mit deiner Trauer. Bist du wütend, sei mit deiner Wut. Falls du einsam bist, sei mit deiner Einsamkeit.
     Zu akzeptieren und mit dem zu sein, was ist, sind Handlungen der Liebe.
     Wenn du dir Liebe gibst, kannst du dich nicht ungeliebt fühlen. Liebe erwidert sich selbst. Was du gibst, empfängst du, und was du empfängst, gibst du zurück. Das ist das außergewöhnliche Wesen der Liebe.
Das ist der Grund, warum Liebe die größte Kraft des Universums ist.
Wenn du vergisst, wer du bist oder warum du hier bist, nutze diese transformierende Frage, um dich daran zu erinnern. Es ist unwichtig, wie oft du vergisst. Hör auf zu zählen. Hör auf, dich zu kritisieren. Hör auf, dich unter Druck zu setzen. Bring dich einfach sanft wieder zurück. Übe dich auf liebevolle Weise darin, dich selbst zu lieben. Wenn du deine Übung, dich zu lieben, in einen Stock verwandelst, mit dem du dich selbst züchtigst, hört es auf, eine Übung der Liebe zu sein. Sei geduldig und mitfühlend.
     Erinnere dich: In dir ist ein kleines Kind, das sich der Liebe nicht wert fühlt. Nimm es in deine Arme und versichere ihm, dass es liebenswert ist.
     Liebe den Verwundeten, der sich der Liebe nicht würdig fühlt, und der Selbstwert wird sich auf natürliche Weise einstellen. Die Liebe bringt alle Dinge zu ihrem Ursprung zurück, und dort werden sie für immer verwandelt. Wenn der sich ungeliebt Fühlende dem Überbringer der Liebe begegnet, ist alles, was bleibt, Liebe.
     Darin liegen die Gewissheit und die Größe dieser Übung. Sie funktioniert immer. Dennoch wirst du ihr Raum geben und sie umsetzen müssen. Ohne deine Bereitschaft, zur Quelle der Liebe im Inneren zu finden, kann die Kraft der Liebe in deinem Leben nicht zum Ausdruck kommen.
     Je aufrichtiger du übst, desto leichter ist es für dich, dich zu zeigen. Und je mehr du dich zeigst, desto mehr trägt dich der Strom der Liebe zu deinem größten Wohl und zum Wohl aller, die mit dir reisen.

Wichtige Gedächtnisstützen

  • Im Zustand wechselseitig abhängiger Liebe sind wir darauf angewiesen, dass andere uns lieben und für uns da sind. Das ist so, als baute man auf Treibsand. Wir legen es darauf an, enttäuscht zu werden. Lernen wir, uns selbst von innen heraus zu lieben, dann wissen wir, dass wir in Ordnung sind, wie wir sind, obwohl andere vielleicht nicht in der Lage sind, uns zu lieben und für uns da zu sein.
     
  • Du bist der Überbringer der Liebe. Deine Liebe ist der Schlüssel. Du bist der Initiator. Solange du dir keine Liebe entgegenbringst, kann die Macht der Liebe in deinem Leben nicht zum Ausdruck kommen.
     
  • Hältst du dich und deine Erfahrung sanft und mitfühlend? Du kannst dir selbst nicht auf lieblose Weise Liebe geben, sonst ist das, was du gibst, nicht Liebe.
     
  • Es gibt keinen Augenblick, in dem du nicht mit der Quelle der Liebe verbunden bist. Deine Aufgabe besteht darin, in die Stille zu gehen und dein Herz zu öffnen, damit du die Verbindung fühlen kannst.

Paul Ferrini Teaching

LIEBE DICH SELBST